Bewegung und Dynamik sind das A und O bei Comicfiguren. Dabei sind aber nicht nur die anatomischen Gegebenheiten und die natürlichen Bewegungsabläufe entscheidend, sondern vor allem auch ihr Einsatz in jedem einzelnen Panel und auf der ganzen Seite. Richtig angewendet kann man alleine durch die Positionierung und die Bewegungsrichtung den Leser von einem Bild zum nächsten führen.
Eine Comicfigur kann auf jede erdenkliche Weise eine Bewegung ausführen – als Comiczeichner sind wir angehalten, diejenige auszusuchen, die am Besten passt. Wir entscheiden aber auch darüber, wieviel man von der Figur und ihrer Bewegung in jedem Panel sieht und in welche Richtung der Charakter steht und die Aktion ausgeführt wird. Das schließt große und dynamische Bewegungen – rennen, schlagen, sprinen, ausholen – genauso ein, wie Kleinigkeiten, etwa die Position der Augen oder des Mundes. Ohne zu sehr in den später im Aicomic – Zeichenkurs kommenden Abschnitt über das Layout einer Seite und Storytelling gehen zu wollen, werden wir uns in dieser Lektion aber doch mit dem Bild an sich, der Blickrichtung und der Bewegungsführung beschäftigen.
Grundlagen der Bewegungsführung
Würde man immer die gleiche Perspektive einnehmen und immer den gleichen Abstand zu den Figuren wahren, würde eine Comicseite ziemlich langweilig wirken. Wenn wir aber anfangen, mit diesen Punkten zu spielen, müssen wir auf Verschiedenes achten – wenn wir demnächst den Entstehungsprozess einer Seite behandeln, werden wir sehen, wie diese einzelnen Faktoren ständig zusammenkommen. Dieses Mal soll uns vor allem interessieren, wie es uns gelingt, den Blick des Lesers zu beeinflussen.
Das große Ziel beim Einsatz der Bewegungsführung ist grob gesagt, die Leser von einem Bild zum nächsten und am Ende der Seite zum umblättern zu bringen. Gelingt uns dies nicht, erzählen wir erstens die Geschichte weder stringent noch sonderlich spannend und zweitens kann es uns geschehen, dass die Leser so gelangweilt sind (oder der Geschichte nicht folgen können), dass sie unser Comic weglegen – und schwupps, haben wir einen Leser verloren. Damit dies eben nicht passiert, kann man für den Anfang ein paar kleine Dinge beachten:
- wir lesen im westlichen Kulturkreis von links nach rechts – die Aktion sollte in die gleiche Richtung gehen (kleiner Hinweis: dies stellt gerade im Manga-Bereich ein echtes Problem dar, wenn die Bilder von rechts nach links, die Inhalte der Sprechblasen aber weiterhin in westlicher Richtung gelesen werden – unten mehr dazu)
- wir lesen die Bilderreihen im Zickzack von oben nach unten – durch die Positionierung der Figuren können wir diese Z-Form des Blicks unterstützen (dies wird besonders interessant, wenn man ein Layout, bzw. eine Panelaufteilung, vorbereitet, das von den einfachen, geraden Kästen auf der Seite abweicht)
- wenn man die Figuren so im Raum positioniert, dass sie mit der Panelaufteilung korrespondieren, kann man sie besser zusammenhalten (ein Beispiel: Figur A steht im Panel links, Figur B in einem anderen Panel rechts. A sieht B an, schaut also nach rechts – der Blick entspricht somit der Lesrichtung und der Panelaufteilung)
- durch den Schwung einer dynamischen Bewegung katapultieren wir gleichsam den Blick des Lesers zum nächsten Bild – dies können wir nutzen, um die Lesegeschwindigkeit zu kontrollieren: Mehr Schwung bedeutet hierbei also schnelleres lesen, weniger ist also entsprechend langsamer
- das letzte Bild auf einer Seite sollte möglichst die Bewegung in Richtung unten rechts führen, damit die Leser quasi gezwungen werden umzublättern und nicht stocken (beim Manga ist es logischerweise links unten)
- wie beim Film sollte man auch im Comic Achsensprünge vermeiden (bei einem Achsensprung wechselt die Blickrichtung ohne ersichtlichen Grund die Seite – Figur A steht nun also plötzlich rechts und B links – wodurch das Auge des Betrachters unterschwellig verwirrt wird)
Blickrichtung von Panel zu Panel
Es gibt natürlich immer wieder Situationen, die Abweichungen bedingen, doch kann man in solchen auch durchaus entgegen wirken. Charaktere, die nach links (entgegen der Lesrichtung) laufen, können durch die konträr zum Blick verlaufende Bewegungsrichtung unter Umständen so aussehen, als liefen sie rückwärts oder wären eingefroren – gibt man nun im Hintergrund genügend Informationen, die den Blick wieder in die „richtige“ Richtung lenken, kann man den unerwünschten Effekt abschwächen. Diese Informationen können von Größenverhältnissen von Vordergrund und Hintergrund, über Speedlines bis zu passenden Fluchtpunktperspektiven reichen.
Wie bereits oben ewähnt: Manga Bücher in Deutschland sind ein ganz schwieriger Fall für die Comictheorie. Aus Kostengründen werden die in japanischer Lesrichtung produzierten Geschichten für die Lizenzprodukte nicht ummontiert und neuarrangiert, sondern in ihrer originalen Fassung gelassen. Dadurch werden die Leser aufgefordert, gleichzeitig in zwei Richtungen zu lesen – wenn man dann versucht, so etwas selbst zu machen, geraten viele Comiczeichner in die Bredouille: Sie bauen dann ihre Panels von rechts nach links auf, ihre Erzählrichtung innerhalb der Panels ist aber durch die westliche Lesegewohnheit bedingt wieder von links nach rechts. Im Interesse der Lesbarkeit, sollten deutsche Mangaka darauf besonders achten und in ihr Storytelling einbauen.
Arbeiten mit der Lesrichtung
Die Aufgabe der Zeichner – egal ob in der westlichen oder japanischen Tradition verhaftet – muss also darin bestehen, dem Leser die Geschichte so aufzubereiten, dass dieser ohne Probleme folgen kann – man arbeitet quasi Hand in Hand. Was für uns dann oftmals auch einiges an Überlegung kostet, erscheint (wenn es gut gemacht wird) für den Leser als völlig natürlich und einfach. Er liest dann ohne über die Mechanismen der Bewegungsführung nachzudenken und uns ist es gelungen, die Figuren auf natürliche Weise interagieren zu lassen und den Leser durch die Geschichte zu führen.
Die nächsten Male werden wir uns (es war ja schon angekündigt) mit dem Faltenwurf und Licht und Schatten als letzte großen Abschnitte des Bereichs um dynamische Bewegung beschäftigen, um dann die bis dahin in den Lektionen behandelten Informationen erst einmal in einer Illustration anwenden, bevor wir den nächstgrößeren theoretischen Abschnitt beginnen.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
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