Zeichenkurs, Lektion 16: Full Script und Plot Script – Herangehensweisen an eine Comic Story

Neben anatomisch korrekten Zeichnungen und einer gelungener Farbgebung müssen sich Zeichnerinnen und Zeichner auch damit beschäftigen, wie man eine Comic Story erzählt und ein Script schreibt – Comics bestehen ja nicht nur aus hübschen Bildern, eine gut erzählte Geschichte ist ein ebenso wichtiger Faktor.

Actionszene im Script © Daniel Gramsch/Aicomic

Eine gute Comic Story steht am Anfang der Arbeit: Noch bevor man sich eingehend mit dem Design auseinandersetzt, Nebencharaktere entwirft oder sich über ein Farbkonzept Gedanken macht, muss erst einmal die Geschichte stehen. Viele Zeichner arbeiten mit Autoren zusammen, andere sind ihre eigenen Erzähler, manche schreiben auch für andere ComiczeichnerInnen. In jedem Fall muss man aber auf zwei Dinge achten: Erstens muss eine Comic Story für den Zeichner umsetzbar sein und zweitens muss sie für die Leser nachvollziehbar sein. Bei der Erfüllung beider Aufgaben sollten Autoren und Zeichner Hand in Hand arbeiten. In der Lektion 16 des Onlinezeichenkurses, sollen einige Ansätze und Empfehlungen hierfür vorgestellt werden.

Zwei Varianten, eine Comic Story zu schreiben

Prinzipiell eignen sich daher alle Geschichten, Themen, Ideen, Figuren, Strukturen, Genres und Schemata im Comic und letztlich zählt nur das Ergebnis. Auf dem Weg dahin gibt es wie so oft kein „richtig“ oder „falsch“ – wenn man eine Comic Story schreibt gibt es nur ein „gelungen“ oder „verfehlt“. Damit letzteres zumindest nicht auf der Ebene des strukturierten Arbeitens eintritt, haben sich ein paar Konventionen gebildet, an denen man sich orientieren kann. Gerade auf dem amerikanischen Comicmarkt arbeitet man nach zwei von ihnen: „Full Script“ und „Plot Script“.

Full Script: Ein Drehbuch für ein Comic

dynamisches Erzählen © Daniel Gramsch/Aicomic

Die klassische Version eines Drehbuchs, wie man es auch aus dem Theater und aus Hollywood kennt, nur eben auf Comics übersetzt und besonders mit den Comicklassikern von DC assoziiert. Hierbei schreibt der Autor eine sehr genaue Angabe, was er sich auf jeder Seite und auf jedem Bild vorstellt. Oftmals finden sich sogar Angaben über bestimmte Positionen der Figuren, Gesichtsausdrücke, Gesten, Blickrichtungen etc. Auch die Dialoge sind bereits bis ins kleinste Detail vorhanden, damit der Zeichner weiß, wieviel Platz er auf dem Bild zur Verfügung hat.

Vorteile beim Full Script: Mit dieser traditionellen Drehbuch-Methode kann der Autor seinen Ansatz sehr genau kommunizieren, es ist unwahrscheinlich, dass Aspekte unter den Tisch fallen. Die Planung für das gesamte Heft, Album oder Buch wird damit erleichtert und man wird kaum mit Unvorhergesehenem konfrontiert.

Nachteile beim Full Script: Durch den sehr eng gefassten Spielraum eines so detaillierten Drehbuchs kann es vorkommen, dass sich Zeichner erdrückt fühlen und sich vorkommen, als seien sie lediglich die Verlängerung des Bleistifts, den der Autor selbst nicht führen kann. So kann es zu sehr schwierigen Situationen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft kommen. Auch kann es sein, dass ein Autor zwar eine im Prinzip gute Geschichte parat, vom Storytelling aber keine Ahnung hat – der Zeichner muss sich dann mit eigenen Ideen durchsetzen.

Plot Script: Ausarbeitung der Story durch den Zeichner

Comicszene © Daniel Gramsch/Aicomic

Auch gerne „Marvel Style“ genannt, da diese lose Art des Schreibens in den 1960ern bei den damals neuen Superhelden Comics massiv eingesetzt wurde. Hier schreibt der Autor nur eine recht grobe Übersicht der einzelnen Punkte, die er gerne in der Geschichte sehen würde. Manches wird ausführlicher erklärt (bestimmte, wichtige Szenen, Motivation), anderes so vage wie möglich gehalten – denn beim Plot Script wird sich ganz auf den Zeichner und dessen Ideen verlassen, der spätere Text kann sich dann direkt auf die Bilder beziehen.

Vorteile beim Plot Script: Auf diese Weise lassen sich sehr schnell sehr viele Geschichten erzählen – vermutlich ein Grund, warum Stan Lee so arbeitete, wenn er gleichzeitig die meisten der Marvel Serien schrieb oder editierte. Außerdem wird damit ein Maximum an kreativer Freiheit gewährleistet, bei dem die Zeichner quasi selbst die Geschichte erzählen, in ihrer Geschwindigkeit und mit ihren eigenen Vorlieben.

Nachteile beim Plot Script: Um so frei arbeiten zu können, müssen Zeichner ein enormes Talent für dynamisches Erzählen  und fürs Storytelling haben. Auch müssen schwere Entscheidungen zugunsten der Story und gegen die Zeichnungen gefällt werden, was manchmal etwas überfordern kann. Zudem gibt der Autor seine Geschichte in andere Hände ab und muss dann aus dem zeichnerischen Ergebnis etwas Sinnvolles machen – wenn Zeichner und Autor nicht auf der gleichen Wellenlänge sind, kann so etwas auch in die Hose gehen.

Zusammenarbeit zwischen Autor und Zeichner

Thumbnails für eine Comicseite © Daniel Gramsch/Aicomic

Aus diesen Punkten wird ersichtlich, dass nicht nur beide Vor- und Nachteile haben, sondern dass die Zusammenarbeit von höchster Wichtigkeit ist. Vermutlich ist eine Mischung aus dem recht restriktiven Full Script und dem laxen Plot Script in den meisten Fällen eine gute Idee.

Eine Schwierigkeit für Zeichner besteht auch in beiden Fällen, wenn die Scripts interpretiert werden müssen. Was genau ist die Aussage des Bildes/der Seite? In welche Richtung bewegt sich die Story? Und was soll an Emotionen/Action/Eindrücken transportiert werden? Damit hier nichts schiefgeht, muss man sich immer wieder absprechen und gemeinsam planen und umsetzen.

Zum Abschluss der Lektion 16 beim Aicomic-Zeichenkurs noch ein Hinweis auf zwei wirklich häufige Probleme, mit denen man als Zeichner bei einem Script konfrontiert wird: Redundante Informationen und Widersprüchliches. Es gibt immer wieder Szenen, die von Autoren bis ins Detail beschrieben werden, dann als Erzähltext auftauchen und außerdem von den Charakteren kommentiert werden. Wenn dem Zeichner gesagt wird, eine Szene spielt nachts, die Caption lautet „Später in der Nacht…“ und die Figur auf dem Bild noch mitteilt „Jetzt ist es Nacht“ kann man auf zwei Instanzen der gleichen Aussage verzichten und davon ausgehen, dass ein Zeichner in der Lage ist, das Konzept „nachts“ so umzusetzen, dass es auch der Leser versteht, ohne zweimal darauf hingewiesen zu werden.

Widersprüchliche Angaben im Sinne von „Es ist nachts und die rostigen Schwerter glänzen poliert im Sonnenlicht“ sind hingegen ein echter Quell der Freude…

Beim nächsten Mal werden wir uns anhand einer Beispielseite ansehen, wie ein Script in beiden Versionen geschrieben werden kann und wie mögliche Abweichungen von den Angaben im Script bewerkstelligt werden können.

Bis dahin: Viel Spaß beim Zeichnen!

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