Zeichenkurs, Exkurs 4: Dynamische Illustrationen

Eine dynamische Illustration ist oftmals die Visitenkarte für Comiczeichner. Anatomie, Gesichtsausdrücke, perspektivische Verkürzung, Bewegung und Faltenwurf – diese Grundbegriffe sind entscheidend für ihre Entstehung.

Dynamische Illustration © Daniel Gramsch/Aicomic

Die dynamische Illustration gehört zur Grundausbildung des Comichandwerks. Während es zwar große Unterschiede zwischen einer hübschen Zeichnung und einer gelungenen Comicseite gibt, muss jede Zeichnerin und jeder Zeichner die Gestaltung von Pin-Ups beherrschen, um sie als Cover, bei einem Poster oder in der Werbung einsetzen zu können.

Deshalb wird der vierte Exkurs in unserer kleinen Online Zeichenschule die in den letzten Lektionen vermittelten Inhalte in den Entstehungsprozess einer dynamischen Illustration einbauen.

Entstehung einer dynamischen Illustration

Jede Comiczeichnung, sei es ein Pin-Up oder eine ganze Seite, besteht aus mehreren Schritten:

  • Skizze/Vorzeichnung (Sketch)
  • Bleistift-/Reinzeichnung (Pencils)
  • Tusche (Inks)
  • Vorkolorierung (Color Flats)
  • Farbe
  • Effekte
  • Sprechblasen/Text

Je nach Stil oder Ansatz können diese variieren oder wegfallen. Manche Zeichner fangen gleich mit den Pencils an oder lassen die Inks weg – wenn man mit Copics oder Aquarell koloriert, können die Color Flats hinfällig werden – andere mögen keine Effekte auf ihren Bildern und manchmal gibt es keinen Text, wie in der Illustration in diesem Exkurs (auch wenn er prinzipiell als Teil des Bildes gewertet werden muss).

Auf die technischen Aspekte dieser Arbeitsschritte werden wir später eingehen, hier sollen erst einmal die gedanklichen Ansätze bei der Entstehunng im Vordergrund stehen.

Vorzeichnung/Skizze: Ganz grob werden die Körperteile in ihrem Verhältnis zueinander platziert, wobei schon die ersten Überlegungen zur späteren Wirkung und der perspektivischen Verkürzung einfliessen. Wie man sieht, können hier auch mehrere Ideen auf einem Bild festgehalten werden, man entscheidet sich später für den Weg, den man einschlagen möchte.

Pencils: Mit dem Bleistift werden nun die wesentlichen Merkmale der Figur, ihrer Kleidung, der Pose und der Wirkung auf den Sketch übertragen. Auch hier kann man ein bisschen „schraddeln“ und ausprobieren, was besser funktioniert. Gerade beim Faltenwurf kann dies noch den zusätzlichen Nutzen haben, die Funktionsweise von Zug- und Stauchfalten zu verinnerlichen.

Inks: Die Tuschezeichnung ist dazu da, der Zeichnung Tiefe und Gewicht zu geben und sie für das Auge des Lesers klarer zu gestalten. Dies ist der Moment, in dem man sich auf diejenigen Linien festlegt, die der fertigen Zeichnung zu ihrer Wirkung verhelfen sollen – etwaige Fehler können aber immer noch ausgebessert werden, Tipp-Ex und Photoshop machen’s möglich!

Vorkolorierung: Es gibt verschiedene Arten und Stile, auf denen man seine Comics kolorieren kann. Die Flächen mit passenden Grundfarben zu füllen, gehört aber zwingend dazu: Denn hat man erst einmal die Flächen definiert, kann man von hier aus weiterarbeiten und es fällt leichter, die einzelnen Partien später auszuwählen.

Farbe: Die Kolorierung ist dazu da, den Bildern ein einigermaßen natürliches Aussehen zu geben. Auch hier kann man unterschiedliche Ansätze verwenden, um die Licht- und Schatten-Verhältnisse festzulegen. Dies kann weich, kantig, realistisch oder abstrakt sein, mit verschiedenen Werkzeugen und mit verschiedenen Techniken. Man arbeitet quasi die Strichzeichnung weiter aus und achtet darauf, den Charakterzügen, der Kleidung, den Falten und der Bewegung zu folgen.

Effekte: Unter Effekten kann man die variantenreichen Filter von Bildbearbeitungsprogrammen verstehen (wie in dieser Illustration den Blendenfleck auf dem Rapier) oder auch Einzelheiten, die nicht in der ursprünglichen Zeichnung vorhanden waren, aber der Stimmung des Bildes zuträglich sind (der Baumschatten im unteren Teil der Figur zum Beispiel).

Analyse der Illustration

Nachdem wir nun gesehen haben, mit welchen Arbeitsschritten eine Illustration angefertigt wird, sehen wir uns das vorliegende Pin-Up einmal unter den Gesichtspunkten der Lektionen acht bis elf und dem letzten Exkurs an.

Gesichtsausdruck © Daniel Gramsch/Aicomic

Gesichtsausdruck (Exkurs 3): Der Renaissance-Charkater in der Illustration sollte nicht grimmig oder grobschlächtig wirken, sondern entschlossen, aber dennoch unter Adrenalin stehend. Also bekam sie zusammengekniffene Augenbrauen, nicht zu sehr geschlossene Augen, die auf sein Ziel gerichtet sind, einen leicht geöffneten Mund mit zusammen gebissenen Zähnen und ein leicht vorgerecktes Kinn.

Perspektivische Verkürzung © Daniel Gramsch/Aicomic

Perspektivische Verkürzungen (Lektion 8 ): Da sich der Charakter schnell auf etwas zu bewegt, sieht man an mehreren Stellen perspektivische Verkürzungen: an seinem ausgestreckten Schwertarm, am sich nach hinten bewegenden rechten Arm, dem in Rennbewegung befindlichen rechten Bein und dem linken Bein im Hintergrund.

Bewegungsausschnitt © Daniel Gramsch/Aicomic

Bewegungsausschnitt (Lektion 9): Die Figur rennt und greift dabei an. Die Wahl des Bewegungsausschnitts fiel daher auf einen möglichst dynamischen Moment, in dem alle Körperteile in Bewegung sind, das rechte Bein in der Luft und das Rapier bereits gezogen ist und sich fast am Ende des Schwungs befindet.

Bewegungsführung (Lektion 10): Die Leserichtung ist von links nach rechts und entsprechend bewegt sich auch die Figur. Wäre dies eine Splash Page, würden die Leser direkt zur nächsten Seite und der Auflösung der Situation geführt.

Faltenwurf © Daniel Gramsch/Aicomic

Faltenwurf (Lektion 11): Der Charakter hat recht lockere Kleidung aus Baumwolle und Leder. Sein Wams ist daher mit mehr Falten ausgestattet, die sich schwungvoll der Bewegung angleichen: Die Falten an Arm und Achsel ziehen einerseits in Richtung des ausgestreckten linken Arms, andererseits aber auch in Richtung Bauch, da die Figur in der Hüfte leicht gedreht ist. Die Falten über dem Bauch ziehen aus diesem Grund zum rechten Arm und bauschen sich über dem Gürtel, der das Hemd am Körper fixiert. Die Lederhose ist steifer und zieht daher kantigere Falten und durch das angezogene rechte Bein entstehen Stauchfalten. Der Umhang wallt hinter der Figur und ist daher (neben den Licht- und Schatteneffekten) ebenfalls weich und fließend. Die Falten hier beziehen sich fast alle auf die Schnallen am Kragen.

An dieser dynamischen Illustration lassen sich also sehr gut die Inhalte der letzten Lektionen ablesen. Natürlich sind auch Pin-Ups vorstellbar, die entweder weniger dynamisch sind oder aber verschiedene Punkte auch gar nicht ansprechen. Ein Held mit einer Gesichtsmaske zum Beispiel wird keinen Gesichtsausdruck haben – dann müsste man versuchen, den Ausdruck über die Pose zu vermitteln. Oder die Figur hat einen hautengen Spandexdress – dann werden sich die Falten deutlich anders verhalten.

Mit diesem Exkurs verlassen wir beim Aicomic – Zeichenkurs den großen Bereich der Anatomie und Gestaltung und werden uns ab der nächsten Lektion mit verschiedenen Zeichentechniken auseinander setzen, die nötig sind, um dann später zur Erstellung einer Comicseite zu kommen.

Bis dahin: Viel Spaß beim Zeichnen!

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