Das Comicscript hält die Geschichte zusammen. Nur mit einem genauen Plan kann man gewährleisten, das Comic auch kohärent zu erzählen – auch wenn viele Zeichner am liebsten einfach drauf los malen würden…
Sich mit den Möglichkeiten eines Comicscripts auseinander zu setzen, mag für viele angehende Zeichner nicht ganz so glamorös sein, wie die Beschäftigung mit hübschen Bildern und gelungenen Posen. Aber Comiczeichner müssen immer auch gleichzeitig Comicautoren sein: Entweder schreiben sie ihre Storys selbst und wenn sie sich die Geschichte nicht selber ausdenken, müssen sie dennoch die Story des Autors umsetzen können. Und dafür muss man genau wissen, was man da eigentlich tut. Die 17te Lektion unserer Online-Zeichenkurses wird also anhand der Beispielseite zeigen, wie man ein Full Script schreibt und wie eine Deutung innerhalb der Plot Script Variante funktionieren kann.
Beispiel für ein Full Script
Die oben gezeigte Seite aus einer Science-Fiction-Story mit unserem Ai Girl und Captain Ai könnte als Full Script in etwa so aussehen:
Seite 17
Panel 1: Brücke der „Drawing Potential“. Ai Girl am Motion Scanner. Sie entdeckt den Bruch in der Aussenhülle, durch den die K’roells in das Schiff eindringen. Sie ist entsprechend angespannt.
Caption
AUF DER BRÜCKE…
Ai Girl
CAPTAIN! DIE INSTRUMENTE ZEIGEN EINEN BRUCH IN DER AUSSENHÜLLE!
Panel 2: Captain Ai auf der gegenüber liegenden Seite der Brücke.
Captain Ai
WAS?! WIE IST DAS MÖGLICH?
Panel 3: Er reagiert sofort und gibt Befehle aus, die den Angriff stoppen sollen. Captain Ai muss hier dynamisch, heroisch und Herr der Lage sein.
Captain Ai
ALARMSTUFE ALPHA! KORRIDORE SCHLIESSEN! DIE K’ROELLS SIND AN BORD DES SCHIFFES! SCHICKEN SIE SOFORT DIE SICHERHEITSMANNSCHAFT LOS!
Panel 4: Ai Girl will sich ihrem Captain beweisen, handelt ebenfalls sofort und ist bereits auf dem Weg. Captain Ai ist darüber gleichermaßen erstaunt und erfreut: Er ist stolz auf sein neuestes Crew-Mitglied, hätte aber andererseits nicht damit gerechnet.
Ai Girl
KEINE ZEIT, CAPTAIN! BIN SCHON AUF DEM WEG!
Panel 5: Ai Girl rennt durch die Gänge und trifft auf einen der K’roells, der bereits näher an der Brücke ist, als gedacht. Sie kommuniziert mit dem Captain per Headset.
K’roell
HHHSSSSSS!!!
Ai Girl
VERDAMMT! CAPTAIN! DIE K’ROELLS SIND FAST DA!
Captain Ai (off)
HANDELN SIE, KADETT!
Panel 6: Ai Girl schlägt den K’roell beherzt nieder. Blickrichtung: Nach rechts unten.
Ai Girl
BIS HIERHIN UND NICHT WEITER! UND AUSSERDEM… DU HAST EIN SABBER-PROBLEM, MEIN FREUND!
Wie man sieht, werden in einem Full Script die Anweisungen sehr dicht gegeben, inklusive der Motivationen, Gefühlslagen und Hintergründe der Figuren. Das kann sogar noch genauer als in dem Beispiel hier sein, wenn ein Autor hochgezogene Augenbrauen beschreibt oder die genaue Position einer Figur im Bild und ihre Bewegungen dabei:
Panel 3: Captain Ai mobilisiert sofort alle Kräfte. Er steht mittig, leicht von unten gesehen. Seine Augen blicken entschlossen und sein Arm zeigt nach rechts, in die Richtung, aus der die K’roells sich nähern.
Fragestellungen beim Plot Script
Im Gegensatz dazu ist ein Plot Script sehr vage und kann im Extremfall in wenigen Sätzen die gesamte Story mit einschließen. Der Auszug, der letztlich zu einer Seite wie der im Beispiel führt, wird hier fett markiert:
Ai Girl #3
Noch immer treibt die „Drawing Potential“ in Reichweite von LV-426, ohne Treibstoff und mit defekten Waffensystemen.
Ai Girl ist nicht darüber erfreut, dass sie den Dienst am Motion Scanner übernehmen soll, da sie sich hier unterfordert fühlt, als sich eine Flotte der K’roells nähert. Der Kommandant der K’roells, L-Mar H’rig, stellt Captain Ai ein Ultimatum.
Da sich die „Drawing Potential“ nicht wehren kann, will sich der Captain im Austausch für das Leben seiner Crew selbst als Geisel zu den K’roells begeben, worauf L-Mar auch eingeht.
Doch weder Crew noch Captain können die Pläne der K’roells durschauen.
Gerade als Captain Ai denkt, den Angriff der K’roell Flotte abgewehrt zu haben, macht Ai Girl die schreckliche Entdeckung eines Bruchs in der Aussenhülle: L-Mar H’rig hat einen Stoßtrupp auf die „Drawing Potential“ geschickt. Um sich zu beweisen, beschließt Ai Girl, selbst die Entermannschaft aufzuhalten.
Nachdem es ihr gelingt, tatsächlich einige der K’roells zu erledigen, stellt sie im Tanklager fest, dass das Schiff sehr wohl noch einige Reserven hat. Sie stellt sich die Frage, ob der Captain nicht insgeheim mit dem K’roell-Imperium zusammen arbeitet.
Sie kehrt zurück zur Brücke, um Captain Ai zur Rede zur Stellen – doch findet sie ihm Kommando-Sessel nicht den Captain der „Drawing Potential“, sondern L-Mar H’rig vor, der sie sardonisch begrüßt.
Fortsetzung in Ai Girl #4
Die Aufgabe der Zeichnerin oder des Zeichners besteht nun darin, aus diesen kurzen Angaben eine Geschichte von mehr als 20 Seiten zu gestalten. Hierbei muss man sich Gedanken über die wesentlichen Punkte machen:
- Wie zeigt man, das Ai Girl mit ihrer Stellung an Bord nicht zufrieden ist?
- Wie kann Captain Ai einerseits heroisch wirken und man andererseits rüberbringen, dass Ai Girl ihm einen Verrat zutraut?
- Was zeigt man von den Plänen der K’roells?
- Welche Emotionen sind im Verlauf der Geschichte wichtig?
- Wie verteilt man Action und Gespräche?
- Welche nichterwähnten Figuren der Crew müssen auftauchen und wie verhalten sich diese Nebencharaktere im Bezug auf die Hauptfiguren?
Vorteile und Nachteile der Script Varianten
Während sich diese Fragen auch bei einem Full Script stellen, sind sie für den Zeichner aber bei einem Plot Script deutlich schwieriger zu beantworten. Denn hierbei muss man während des Zeichnens (beziehungsweise während der Pläne des Zeichnens, in der Thumbnail-Phase) sich über all das Gedanken machen, das nicht im Comicscript steht. Im vollausgearbeiteten Drehbuch eines Autors (der ja mit dem Zeichner identisch sein kann) können solche Szenerien schon frühzeitig eingebaut werden.
Und somit kommen wir noch einmal zu den Vorteilen und Nachteilen der beiden Comicscript Varianten: Das Full Script ist sehr detailliert und bietet die Möglichkeit, alle Ideen auf den Punkt zu bringen. Das Plot Script lässt die Zeichnerin oder den Zeichner dagegen viele Freiheiten und der Autor kann an mehreren Geschichten gleichzeitig arbeiten.
Nachteilig ist dann, dass im Full Script Abweichungen logisch ins Gefüge der Story eingebunden werden müssen, was manchmal zu echten Problemen führt, und im Plot Script kann es passieren, dass man sich völlig verheddert und eben nicht auf den Punkt kommt.
In beiden Varianten ist es allerdings unablässig, dass Zeichner sich mit den Erzählregeln von Comics beschäftigen, mit Storytelling und Layout. Daher werden wir uns in der nächsten Lektion im Aicomic-Zeichenkurs mit eben jenen Grundlagen auseinander setzen und sie anhand der Beispielseite im Einzelnen durchgehen.
Bis dahin: Viel Spaß beim Zeichnen!
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